Das Einstein-Mädchen

Philip Sington (Deutsch von Sophie Zeitz)


„Was ist denn das für ein Frauen-Zeug?“ habe ich mir anhören dürfen, nachdem mein Freund einen schnellen Blick auf Titel und Cover von „Das Einstein-Mädchen“ geworfen hatte. Doch dieser Roman hat mit dem Chick-lit-Genre genau nichts gemein. Vielmehr handelt es sich um ein wunderschönes, zum Teil aufwühlendes Portrait zweier Menschen in der Zeit zwischen Krieg und aufkeimendem Nationalsozialismus.


Dr. Martin Kirsch, Verlobter der gut situierten Alma und Bruder des im Krieg gefallenen Max, ist von Beruf Psychiater an der Charité in Berlin. Sein etwas dröges und von einer heimlichen schweren Krankheit überschattetes Leben verändert sich dramatisch, als ein Mädchen bewusstlos im Wald in der Nähe von Berlin gefunden wird. Aus dem Koma erwacht, wird dieses Mädchen Patientin von Dr. Kirsch – es leidet an Amnesie.

Wer ist die junge Frau mit dem fremdländischen Akzent? Was hat es mit der Einladung zu einem Vortrag von Prof. Einstein auf sich, die mit ihr im Wald gefunden wurde? Hat es Dr. Martin Kirsch mit einer Hochstaplerin zu tun? Mit einer Geisteskranken? Oder mit einer Frau, die nicht nur die Welt vergessen hat sondern auch von der Welt vergessen wurde?

Wenn Zeitgeschichte und Fiktion einander treffen, entstehen oft durch Erfundenes aufgefettete Biographien von langweiligen Berühmtheiten (wäre deren Leben so interessant, bedürfte es keiner erdachten Geschichten). Oder das Ergebnis sind Romanhandlungen, die in ein gut recherchiertes aber für die Geschichte unnötiges zeitgeschichtliches Umfeld eingebettet sind.

„Das Einstein-Mädchen“ ist keines von beidem. Es erzählt, wie das Leben eines Familienmitglieds von Albert Einstein, von dem die Öffentlichkeit kaum etwas weiß, ausgesehen haben könnte. Es erzählt aber auch die Geschichte von zwei schwarzen Familien-Schafen: die eines höchst talentierten Mädchens, das der Moral des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts und der Brutalität seines Vaters trotzt, und die von Dr. Martin Kirsch, der zwar erfunden aber für mich Synonym für viele Menschen ist, die im Europa der Dreißigerjahre nicht nur versucht haben, über die Runden zu kommen, sondern auch das Richtige zu tun.

Lieblingszitat:
„Die Schwerkraft der Innenwelt; in bestimmten Zuständen war sie unwiderstehlich, verzerrte die Geometrie des bewussten Denkens, die geraden Linien und rechten Winkel. Erinnerungen liefen im Kreis, außerstande, ein Ziel zu erreichen. Ohne die Disziplin der Chronologie überkreuzten sie einander, liefen rückwärts, stellten die grundlegende Logik von Ursache und Wirkung auf den Kopf. Anwesenheit, Entgleiten, Abwesenheit, das war das Bild, das er vom Wahnsinn hatte: eine Art Verschwinden.“
                                                                                                                
                                             

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