Unsichtbar

Paul Auster (deutsch von Werner Schmitz)


Manchmal weckt das große Können eines Autors in mir Widerstand. Bei den seitenlangen Sätzen in Thomas Bernhards „Ja“ habe ich mich gefragt, was er mir damit beweisen will. Ja, ich weiß, der Neid... Paul Auster hingegen schafft es, mich mit „Unsichtbar“ vollkommen zu verzaubern. Mit einer verstörend faszinierenden Geschichte, angenehm unprätentiös eingewoben in einen Rahmen aus vier unterschiedlichen Erzähl-Perspektiven, die inhaltlich auch noch Sinn ergeben.



Das Leben Adam Walkers ist von einem Mord geprägt, den er als Literaturstudent in New York miterleben muss. Dieser Mord, begangen vom Politologen und Professor in Cambridge Rudolf Born, wird nie gesühnt, weil Adam mit seinem Wissen zu spät zur Polizei geht. Den Mörder trifft Adam auf seinem Auslandsjahr in Paris wieder. Dort will er dessen geplante Heirat mit Hélène vereiteln, um sie und ihre Tochter Cécile vor dem sinistren Typen Born zu retten. Sein Plan geht allerdings nach hinten los und führt dazu, dass Adam wegen Drogenbesitzes angezeigt und aus Frankreich abgeschoben wird.

Dieser Teil seines Lebens lässt den jungen Dichter aber nie mehr los. Um der Gerechtigkeit genüge zu tun, gibt Adam sogar seinen Beruf auf und studiert Jura. Bereits todkrank schreibt er allerdings seine Geschichte auf und schickt sie in der Vorahnung, dass er sie nicht mehr zu Ende bringen wird können, seinem Studienfreund Jim, mit dem er seit der Zeit an der Uni keinen Kontakt mehr hatte.

Jim weiß nicht so recht, was er mit Adams Geschichte anfangen soll, scheinen doch die Passagen über die inzestuöse Beziehung zu dessen Schwester Gwyn gelogen zu sein. Doch als der Zufall Jim nach Paris verschlägt, trifft er dort Cécile, die Adams Erzählungen über Rudolf Born nicht nur bestätigt, sondern in noch tiefere menschliche Abgründe blicken lässt.

„Unsichtbar“ hat mich überwältigt. Der Inhalt hat mich gepackt, aber es ist noch viel mehr die Erzählweise, die dieses Buch für mich unvergesslich machen wird. Zuerst Adam als Ich-Erzähler, dann ein Teil, in dem er sich die Geschichte selbst zu erzählen scheint, der dritte Part in der dritten Person über Adam geschrieben, und ganz zum Schluss das Tagebuch von Cécile. Und obwohl auch noch in jedem Teil der Schreibstil ein ganz anderer ist, ist das ganze eine runde Erzählung die sogar noch von den vielen Perspektivwechseln profitiert. Mehr noch: ohne diese Art des Erzählens würde wohl das ganze Buch nicht funktionieren.


Lieblingszitat:
Die Trägheit und Präzision ihrer Gesten, als sie die Blumen schnitt und in die Vase stellte, hatten etwas in mir angerührt, und plötzlich war mein unverfängliches Zusehen in Faszination umgeschlagen. Auf einmal entdeckte ich ihre Sinnlichkeit, und die fade, uninteressante Frau, die keinen einzigen Gedanken im Kopf zu haben schien, entpuppte sich als sehr viel klüger, als ich sie mir vorgestellt hatte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen