Der Purpurschnitter

Gloria Frost


Was macht man, wenn einem ein Buch zum Lesen geschickt wird, und man... na ja... es wird... kein Lieblingsbuch? Ein arrogantes Arschloch sein und es verreißen? Sich selbst verleugnen und lügen? Oder das Buch einfach totschweigen? Ich hab mich dazu entschlossen, ehrlich zu sein und darüber zu schreiben, was mir trotz allem an „Der Purpurschnitter“ gefallen hat.



Lilly Leberecht ist eine Frau in den Vierzigern. Sie hat es als Schulleiterin zu etwas gebracht im Leben, aber ihr Mann Hagen säuft und ist ein Fiesling, und die Zwillings-Teenagertöchter nehmen sie weder als Mutter noch als Frau ernst.

Der Spuk beginnt, als Lillys große Jugendliebe Adrian unvermutet aus Russland in seine Heimat zurückkehrt und Lilly prompt eine Affäre mit ihm beginnt. Da verschwinden Menschen aus Lillys Umfeld – ihr Mann, ihre beste Freundin, der Schwager, der Onkel aus Amerika – und zurück bleiben einzelne abgehackte Füße in schwarzen Armeestiefeln.

Was zu Beginn wie der Stoff für einen spannenden Thriller daherkommt, wird irgendwie belanglos. Denn während rund um Lilly quasi die Welt untergeht, scheint sie das kaum zu berühren. Und auch sonst niemanden. Die Töchter fragen nicht nach dem Verbleib ihres Vaters, Lily unterhält ihre Affäre zu Adrian offen und ohne jegliche Gewissensbisse auch vor den Kindern, und die wiederum finden auch das überhaupt nicht ungewöhnlich. Das Verschwinden der Freundin Linda begeht man mit Prosecco und einem Seufzen: „Früher waren wir zu viert.“.

Trotzdem mochte ich nicht aufhören zu lesen, obwohl ich ein wenig Angst vor der Auflösung hatte. Aber das Warten hat sich gelohnt. Na ja, halb. Denn wie Gloria Frost die gruseligen Begebenheiten enträtselt und den Übeltäter entlarvt, hätte ich so nicht erwartet. Den Grund für die Bein-Abhackerei in Lillys eigener Familiengeschichte zu entdecken und als Mörder ihren Erzeuger, den sie bis dato für einen Freund gehalten hatte, hat mich positiv überrascht und fast über das Dahingeplätscher der Geschichte und den andauernden Einsatz von Redewendungen hinweggetröstet. Aber Gloria: Am Ende heiratet Lilly Isegrimm? Und lebt fortan mitsamt Hund Wotan glücklich im ererbten Schloss? Ernsthaft?


Lieblingszitat:
Deutlich hörte ich Großmutters Stimme an meinem Ohr: „Es sind die Körperlosen. Hüte dich vor ihren Liedern. Seit Urzeiten hausen sie in der Nähe von Friedhöfen und reisen von dort zu den Häusern, in denen gerade Menschen gestorben sind, lauern begierig auf Weinen und Wehklagen der Trauernden und Verzweifelten. Denn von den Tränen der Sterblichen ernähren sie sich. Je mehr geweint wird, desto größer und schöner werden sie. Ihre Macht, ihre Kraft, ja, menschliche Gestalt und neue Jungend gewinnen sie aus dem salzigen Saft.“

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