Zwischen allen Wolken

Michael Gantenberg


Wenn mich eine Geschichte davonträgt in eine Welt, die schon nach ein paar Seiten meine eigene wird, und aus der aufzutauchen, und wieder in meine eigene zurückzukehren, schön und traurig zugleich ist, dann weiß ich, warum ich immer wieder zu einem Buch greife. Denn genau dieses Gefühl ist es, wonach ich mich zwischen den nach geschnittenem Papier duftenden Seiten sehne wie eine Süchtige. Und genau das ist Michael Gantenberg mit „Zwischen allen Wolken“ gelungen.




Gesa ist neunzehn und steckt mitten im Abitur. Ihr Bruder Wilko hat das schon hinter sich, er ist ein paar Jahre älter. Gemeinsam mit ihren Eltern leben sie auf der Insel Nördrum in der Ostsee. Was sie nach dem Abitur mit ihrem Leben anfangen will, da hat Gesa noch keinen blassen Schimmer. Aber fest steht: Sie will weg aus Nördrum. Was sonst?

Dabei geht es daheim im Möwennest, der Pension, die Gesas Eltern bewirtschaften, recht amüsant zu. Neben den normalen Urlaubsgästen kommen auch immer mehr kinderlose Paare. Die erwarten sich von Wattwanderungen mit der Wattfee – Gesas Oma Insa – endlich Nachwuchs. Und dann sind da auch noch Piet, Oma Insas Freund, Tante Nele, zu der fast ausschließlich männliche Touristen in die Praxis kommen, und Onkel Onno, der einen Schatz sucht.

Aber dann kommt der Tag, ein wunderschöner, sonniger Tag, an dem das Schlimmste passiert. Wilko stürzt mit ungeöffnetem Fallschirm in einen Apfelbaum und ist tot.

Ich habe nicht geweint beim Lesen von „Zwischen den Wolken“, obwohl der Tod meiner Schwester – wenn ich die Romanhandlung jetzt mit meinem eigenen Leben vergleiche – das allerschlimmste wäre, was mir passieren könnte. Ich glaube, ich würde mich genauso leer fühlen wie Gesa, so allein, wenn alle um mich herum, die mich normalerweise auffangen, nicht dazu in der Lage wären. Wenn mein Vater, der beim Fallschirmspringen dabei war, verschwände und meine Mutter, von Trauer gebrochen, all ihre Aufmerksamkeit einer Ente namens Jean-Piere schenkte.

Die Tatsache aber, dass Gesa Wilko sehen kann und mit ihm spricht, hat mich getröstet. Es ist mir egal ob so etwas eine Wahnvorstellung ist, die einem dabei hilft, nicht total durchzudrehen, oder ob Tote tatsächlich nicht sofort ganz verschwinden, um denen zu helfen, die zurückbleiben. Ich hoffe, dass es mir genauso gehen würde.


Lieblingszitat:
„Ich traf Wilko ziemlich regelmäßig. Eigentlich traf er mich. Wir waren nie verabredet oder so was. Und ich konnte auch nicht nach ihm rufen. Er war einfach da oder eben nicht. Am Anfang war ich erschrocken, aber das legte sich. Man kann sich auch an einen toten Bruder gewöhnen.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen