Der alte König in seinem Exil

Arno Geiger

Manche Menschen bleiben die, die sie sind, bis zu ihrem Tod. Andere verändern sich, werden kauzig, gebrechlich oder depressiv. Und wieder andere bekommen heimtückische Krankheiten wie Demenz oder Alzheimer. Davon konnte ich mir bisher – gottseidank – nur berichten lassen. Wie der Opa versucht hat, das Haustor mit der Zahnbürste aufzusperren, oder die Mutter einfach vergessen hat, dass sie essen und trinken muss. „Der alte König in seinem Exil“ hat nicht nur ein neues Bild dieser Verlust-Krankheit gezeichnet, sondern mir auch gezeigt, was sie einem geben kann.



August Geiger, der Vater, geboren 1926 als eines von 10 Geschwistern in einem Bauerndorf in Vorarlberg, ist schon mit achtzehn Jahren in den Krieg geschickt worden. Ostfront. Dort ist er nur knapp dem Ruhr-Tod in einem slowakischen Lager entkommen, zurück nach Hause gewandert und hat dann nie mehr weg gewollt – keine Flitterwochen, kein Urlaub mit den Kindern.

Jetzt hat er Alzheimer, und dass er immer nach Hause will, auch wenn er zu Hause ist, hat weniger mit seiner Lebensgeschichte zu tun als mit der Krankheit, die einem das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit raubt. Meistens ist alles fremd, auch das, was einem einmal das liebste war.

Arno Geiger, der Sohn des „alten Königs“, erzählt, wie es seinem Vater mit der Krankheit ergeht, aber auch, wie er selbst und die Familie die Herausforderung annehmen. Annehmen müssen. Denn lange wollen oder können sie nicht akzeptieren, dass der Vater ein anderer wird, einer „mit dem nichts mehr los ist“. Aber Geiger erzählt nicht nur, welche Traurigkeiten, Schrecken und Anstrengungen sich aus der Alzheimer-Erkrankung seines Vaters ergeben, sondern auch welch ungekannte Nähe sich zwischen den beiden entwickelt, als er akzeptiert, was mit seinem Vater passiert.

„Der alte König in seinem Exil“ hat mich zum Nachdenken gebracht. Über meine Großeltern, die in August Geigers Alter sind, zwar nicht dement, die aber doch alt werden und anders. Und über meine Eltern, die irgendwann so alt sein werden, die ich irgendwann verlieren werde, wie erst vor kurzem eine Freundin ihre Mutter. Und über mich selbst, der wer weiß was blüht im Alter.

Aber dieses ungewöhnliche Buch über die Lebensfreude hat mir auch Hoffnung gemacht und mich in meinem Glauben bestärkt, dass vieles für die anderen schwerer zu ertragen ist als für einen selbst.

Lieblingszitat(e):
„Danke, ich möchte nur Dankeschön sagen. Ich bin ein armer Schlucker. Ich war auch einmal einer – ich danke dir, dass du keinen Wirbel machst, weil mit mir nichts mehr los ist.“ „Papa, es ist alles gemacht, es ist für alles gesorgt. Jetzt geht die Sonne unter.“ „Glaubst du das?“ „Ich weiß es.“
„Hast du Angst vor dem Sterben?“ „Obwohl es eine Schande ist, es nicht zu wissen, kann ich es dir nicht sagen.“
„Sosehr die Menschen am Leben hängen: Wenn sie finden, dass ein Leben nicht mehr ausreichend Lebensqualität bietet, kann das Sterben plötzlich nicht schnell genug gehen. Dann wird das Thema Sterbehilfe aufgebracht von Angehörigen, die besser daran täten, über die eigene Unfähigkeit nachzudenken, mit der veränderten Situation umzugehen. Die Frage ist: Will man den Kranken von der Krankheit befreien oder sich selbst von der Hilflosigkeit?“

1 Kommentar:

  1. klingt interessant, wobei ich würd wahrscheinlich rotz und wasser heulen beim lesen.

    AntwortenLöschen