Berlin Alexanderplatz

(Alfred Döblin)


Wenn mich in den letzten drei Wochen – ja, so lang habe ich für „Berlin Alexanderplatz“ gebraucht – jemand gefragt hat, was ich grade lese, war meine Antwort immer: „Ich lese nicht, ich quäle mich.“ Nach einem Berlin-Wochenende habe ich mir diesen Klassiker eingebildet. Muss man mal gelesen haben. Also habe ich mich wie der Protagonist selbst durch Franz Biberkopfs Leben in Berlin gequält, und eine Geschichte entdeckt, die mich nachdenklich gemacht hat und für die es sich möglicherweise doch lohnt, sich ein bisschen anzustrengen.


Franz Biberkopf wird nach vier Jahren Einsitzen aus der Haftanstalt Tegel entlassen, nachdem er im Affekt seine Braut Ida getötet hat. Franz schwört, von nun an ein anständiges Leben zu führen. Aber die Menschen, die er trifft, und das Leben in Berlin der späten Zwanzigerjahre machen diese Mission schier unmöglich. Man meint fast, es ist Franzens Schicksal, ein Ganove zu sein, obwohl er sich anfänglich eigentlich ziemlich bemüht.

Natürlich holt ihn das Verbrechen ein. Auf kleine Gaunereien folgen Einbruch und Gewalt, er kommt selbst unter die Räder, wird fast getötet und verliert dabei einen Arm. Franz ergibt sich in sein vermeintliches Schicksal, es hat doch sowieso keinen Sinn zu kämpfen. Zu guter Letzt geschieht ein Mord, den Franz zwar nicht begeht, aber so ganz unschuldig daran ist er wohl nicht.

„Berlin Alexanderplatz“ nervt. Nicht nur, weil der Protagonist ein anständiges Leben führen will, aber ständig Dinge tut, mit denen er sein Vorhaben selbst boykottiert, nein, auch der Stil des Buches hat mir so manches „Meine Güte!“ entlockt. Dabei sind der gewöhnungsbedürftige Berliner Dialekt und die Sätze, die manchmal von korrekter Grammatik weit entfernt sind, noch das Angenehmste. Philosophische Abhandlungen, eingeschobene Lieder und Gedichte sowie Anlehnungen an Geschichte und Mythen von Hiob bis zur Hure Babylon haben es mir schwer gemacht, bei der Sache zu bleiben. Das kann aber natürlich auch daran liegen, dass dieser Roman für höher gebildete Intellektuelle und nicht für Mädchen wie mich geschrieben ist.

Dass ich es aber getan habe, also dass ich bei der Sache geblieben bin und das Buch nicht weggelegt habe – das tut man nicht, das habe ich überhaupt erst ein einziges Mal über mich gebracht – dass ich „Berlin Alexanderplatz“ also zu Ende gelesen habe, hat sich gelohnt. So oft ich bei Büchern nach der berühmten „Moral der G’schicht“ suche, so klar hat sie mir Alfred Döblin auf seinen letzten Seiten aufgezeigt. Und er hat mich nachdenken lassen über Menschen, die immer nur an sich selbst denken und dann staunen, wenn das Leben nicht so einfach ist, wie sie das gerne hätten.


Was ich bei den letzten Sätzen des Buches gefühlt habe, war nicht wie erwartet Erleichterung, dass das Martyrium endlich ein Ende hat, sondern es war die Sentimentalität, die mich immer befällt, wenn ich von einem guten Buch Abschied nehmen muss.

                                                              


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